Zusammenfassung:
Im folgenden Artikel stellt der Autor die von ihm begründete und weiterentwickelte Funktionale Atemmassage vor, strukturiert sie und schildert ihre Bedeutung für die Stimm- und Atemtherapie. Die FAM ist eine Antwort auf die immer wiederkehrende Frage nach dem Transfer in der Stimmtherapie. Sie ist gespeist von modernsten medizinisch-therapeutischen Erkenntnissen, orientiert an den effektiv-praktischen Möglichkeiten der Stimmtherapie. Sie greift auf tieferen Funktionsebenen in die Bewegungsabläufe von Stimme und Atmung ein und beinhaltet somit den Transfer schon im System selbst. Forschung und Weiterentwicklung finden interdisziplinär mit Vertretern der Stimmtherapie, der Osteopathie, der Physiotherapie, der Psychotherapie, der Atemtherapie und nicht zuletzt mit Teilnehmern der laufenden Ausbildungsgruppen (FAM-Ausbildung / Stimmausbildung) statt.
Schlüsselwörter:
Atemmassage, Stimmtherapie, Atemgymnastik, Luftfluss, Rhythmus
Betrachten wir die Atmung als ein zusammenhängendes, komplexes Organ, dann beinhaltet dieses Organ alle körperlichen und psychischen Elemente, die an der Atmung beteiligt sind. Dazu gehören die Lunge, die Bronchiolen, die Bronchien, die Trachea, der Kehlkopf – im speziellen die Glottis – der untere, mittlere und obere Rachenraum, die Mundhöhle, der Nasen- und Nasenrachenraum und im Speziellen die Artikulationswerkzeuge wie Zunge, Lippen und Unterkiefer. Zum Organ „Atmung“ zählt aber natürlich ebenso der gesamte Bereich der intraindividuellen Emotionalität und der interindividuellen Kommunikation.
Zentrales Thema der FAM ist das Konzept der Atmung, um ihre Möglichkeiten und ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Es geht aber auch (z.B. in der Stimmtherapie) darum, Blockaden und Hypo- oder Hyperfunktionen im Atemorgan zu behandeln, um so wiederum reflektorische Reaktionen und physiologische Selbstregulationsmechanismen in der Stimme zu unterstützen.
An fast jede Stimmstörung ist auch eine Atemstörung gekoppelt. Das liegt an der direkten Koppelung von Phonationsventil und Atmung. Das Phonationsventil Glottis ist das wichtigste und sensibelste Atemventil überhaupt. An die meisten Stimmstörungen ist in Verbindung mit einer Atemauffälligkeit auch eine Einschränkung der Beweglichkeit der Artikulation geknüpft – mag sie noch so unauffällig sein.
In der FAM ergeben sich dadurch multiple Chancen an Atmung, Artikulation und Stimme zu arbeiten.
Die FAM teilt sich in drei Säulen auf:
1.Die Atemgymnastik
2.Manuelle Atemmassage (incl. Atemgriffe)
3.Atemventile (Artikulation und Phonation)
1. Ein grundlegender Gedanke in der Atemgymnastik ist die Tatsache, dass Bewegung immer noch die bessere Massage ist. Das bezieht sich vor allen Dingen auf die Massage von Verspannungen, die aus Haltungen, speziell aus Schutzhaltungen heraus resultieren. In der Atemgymnastik werden durch die Flexibilisierung und Mobilisierung der oberen und unteren Extremitäten gleichzeitig die Gewölbe in Händen und Füssen trainiert. Quer-, Längs- und Diagonalgewölbe in Händen und Füßen erweitern die Atmung in die unterschiedlichsten Dimensionen. Nach unten, nach hinten, nach vorne, zur Seite und nach oben kann die Atmung erweitert werden. Die verschiedenen Anteile des Zwerchfells, die Zwischenrippenmuskeln in ihrer internen Koordination und die Atemhilfsmuskulatur 1., 2., 3. oder auch 4. Ordnung wird angesprochen, bewegt und vitalisiert. Das Thema der unterschiedlichen Bewegungs- und Stabilisierungskonzepte ist zentraler Bestandteil in der FAM. Hier wird vor allem an der Erweiterung und Emanzipation der longitudinalen, transversalen und obliquen Bewegungsprinzipien in Atmung, Artikulation und Stimme gearbeitet:
Longitudinale Bewegungsmuster sind beugende und streckende Bewegungen der meisten Gelenke im Körper.
Transversale Bewegungs- und Stabilisierungsmuster sind Muskel- und Gelenkkoordinationen, die zur Mitte des Körpers aber auch nach lateral führen.
Oblique Bewegungskoordinationen zeichnen sich vor allen Dingen durch Rotation, bzw. Rotationselemente aus.
(siehe auch Myofunktionaale Therapie)
2. In der manuellen Atemmassage wird durch Berührungen (Atemgriffe) Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperregionen gelenkt, wodurch Bewegungsimpulse der Atmung eingeladen, erlaubt und verstärkt werden („Die Energie folgt der Aufmerksamkeit“). Durch aktive Bewegungsunterstützung von Seiten des Therapeuten werden schon vorhandene Bewegungskonzepte bestätigt und intensiviert. Das passiert von der Technik her wiederum auf diversen körperlichen Ebenen (siehe „Ebenen“).
3. In der Arbeit an den Atemventilen geht es um Sensibilisierung, Kräftigung und besonders um die Erweiterung der Bewegungskonzepte von Artikulation und Phonation direkt. Hier spielen u.a. die Zunge, die Lippen und die glottale Ebene eine entscheidende Rolle. Der Umgang mit ihnen beeinflusst die Atmung und damit wiederum die Atemventile in entscheidendem Masse. Es mag sich zunächst als ein Umweg anfühlen, wenn wir Stimmtherapie über die Arbeit an der Atmung und diese wiederum über Artikulationsventile und das Phonationsventil betreiben. Aber so kommen wir paradoxerweise ohne Umwege sehr direkt an die glottale Funktion und an ihre Selbstregulation heran – eine Form der Selbstregulation, die jegliche Transferleistung in sich beinhaltet.
Die FAM arbeitet in allen drei Säulen je nach Bedarf / Indikation auf verschiedenen körperlichen und emotionalen Ebenen wie z.B.:
a) Haut
b) Bindegewebe
c) Muskel
d) Gelenk
e) Raum
f) Bewegung
g) Atemventile
h) Emotion
i) Kommunikation
j) …
a) Die Haut ist auf der einen Seite ein sensorisches Organ – auf der anderen Seite ist die Haut ein wichtiges Atemorgan. Die Gesundheit der Haut und der Umgang mit ihr tragen entscheidend zur Organisation der gesamten Atmung wie zur Koordination der Stimme bei. Arbeit an der Haut ist ein entscheidender Faktor in der sensorisch ausgerichteten FAM.
b) Dem Bindegewebe werden in den verschiedenen Disziplinen, die sich um die Gesundheit des Menschen bemühen, unterschiedliche Eigenschaften und Bedeutung zugeordnet. In der FAM bewirkt die Arbeit am Bindegewebe, die Transportsysteme – in diesem Fall den Atemfluss – zu unterstützen oder überhaupt erstmal ein Konzept für einen physiologischen Atemfluss auf glottaler Ebene zu entwickeln.
c) Die meisten Muskeln haben die Aufgabe, Gelenke zu bewegen und die Haltung gegen die Schwerkraft zu stabilisieren. Dieses passiert häufig in unphysiologischer Weise. Die Atmung und die Stimme sind dabei fast immer auf unphysiologische Weise kompensatorisch beteiligt. Daraus ergibt sich in der FAM das Unabhängigkeitstraining zwischen Atem- und Skelettmuskulatur ist.
d) Die Gelenke werden zwar von Muskeln bewegt, aber auch in ihnen können sich Konzepte für Bewegungen installieren, die nicht ihrer eigentlichen Aufgabe und der von der Natur vorgesehenen Komplexität entsprechen. Diese zu entwickeln, zu unterstützen, zu suchen oder auch suchen zu lassen, ist gerade in der Therapie ein zentraler Faktor, der im Sinne des Prinzipientransfers den Transfer enorm erleichtert, eigentlich schon beinhaltet.
e) Raum im engeren Sinne – also auf die Körpergrenzen bezogen (wie z.B. Ateminnenraum, Resonanzraum, Artikulationsraum) – und im weiteren Sinne die Umgebung, in der wir uns bewegen, haben einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität der Atem-, der Artikulations- und Stimmorganisation. In der FAM spielt die Emanzipation und die Balance der verschiedenen Raumdimensionen (bzw. der sechs Himmelsrichtungen im Raum) eine wichtige Rolle.
f) Für die Bewegung des Körpers in einzelnen Regionen und als Ganzes gilt ein einfaches Gesetz:
Die Qualität der Bewegung bestimmt die Qualität der Atmung
und
Die Qualität der Atmung bestimmt die Qualität der Stimme
Daraus ergibt sich eine Vielzahl an Bewegungsübungen, die über ihre Koordination wiederum mittels der Atmung die Stimme direkt beeinflussen können.
g) Die Atemventile sind vor allem die Stimmlippenebene, die Taschenfalten und sämtliche Artikulationsventile, aber auch andere Verengungsmechanismen im Rachenraum, die z.B. durch den Schluckakt in reflexmäßigem Zusammenhang stehen. Die Arbeit an diesen Ventilen, ihre Flexibilisierung und ihr Unabhängigkeitstraining unterstützt die Freiheit und Leistungsfähigkeit der Atmung.
h) Emotion kommt von ex-movere (lateinisch) und heißt soviel wie „heraus bewegen“. Luft, die sich bewegt, die fließt, heißt im althebräischen „ruach“ und ist gleichbedeutend mit „Leben, Emotion, Wut, Sturm, Wetter“. Wenn Emotionen nicht mehr fließen, wenn alles stockt, dann stockt auch der Atem. Die Luft ist angehalten. Der Spruch oder die Aufforderung „halt die Luft an“, der so viel bedeutet wie „reiß dich zusammen“, „halte deine Emotionen an der kurzen Leine“ oder „hab dich in der Gewalt“ ist rein physiologisch nichts anderes als die Aufforderung, die Luft anzuhalten, also aufzuhören zu atmen. Diese Erlaubnis wieder zu erteilen, ein eventuell sich installiertes Verbot aufzulösen ist Teil der FAM auf der emotionalen Ebene.
i) Kommunikation findet in unserer modernen Zeit immer mehr ohne die Atmung als einen wertvollen, notwendigen Bestandteil statt. Eine SMS, eine Mail, sogar in gewisser Weise ein Telefonat beinhaltet keine oder zumindest kaum noch Qualitäten der Atmung, über die nonverbale, emotionale Information fließt. Deshalb kommt es in den modernen Medien auch häufig zu Missverständnissen auf der emotionalen Ebene. Wenn in der klinischen Hypnotherapie von Atempacing gesprochen wird, ist damit gemeint, dass der Psychotherapeut in der Tranceinduktion nie in das Einatmen des Klienten hineinspricht. Diese Form von Vorsicht und Achtsamkeit in der Organisation der Atmung lässt erahnen wie sensibel Stimme, Artikulation, Atmung und Emotion auf die verschiedenen Formen der Kommunikation reagieren. Die Arbeit an der Kommunikation nimmt einen nicht unwesentlichen Stellenwert in der FAM ein.
Die FAM beschäftigt sich also mit der Veränderung, Flexibilisierung und Stabilisierung von Konzepten auf den verschiedensten Ebenen. Das bedeutet, dass es Impulse gibt für den Umgang mit Prinzipien wie z.B.
a) Haut, die für die Sensorik und ihre Bedeutung in der Koordination steht
b) Muskel, der für die Qualität der Organisation von Bewegung und Stabilisierung steht
c) Gelenke, die für die Bewegungsprinzipien stehen
d) Fluss, der für den Umgang mit sämtlichen Transportsystemen (u.a. Atmung) steht
e) Ventile, die für den Umgang mit Kontrolle und Durchlassen stehen
f) …
Durch die Vielschichtigkeit der Struktur in der FAM ist es möglich sehr individuell auf das jeweilige Störungsbild einzugehen.
Natürlich gibt es unter uns Menschen und anderen Lebewesen nur Individuen und keine Nummern wie: das sind „die Knötchen“ oder das sind „die Hypofunktionellen“ oder das sind die… Will man aber in einem therapeutischen System Prinzipien verstehen, ist es zunächst hilfreich und Struktur erhellend die grundlegenden Parameter zu untersuchen und Gemeinsamkeiten bei z.B. allen / den meisten Knötchenpatienten oder Patienten mit hypofunktionellen Stimmstörungen oder Patienten mit dem Thema des TS-Stimmdesigns (MzF) zu beschreiben.
So gibt es bei Patienten mit Knötchen auf den Stimmlippen viele Gemeinsamkeiten. Die meisten Knötchenpatienten haben mehrere, manche sogar alle die unten beschriebenen Symptome:
a)Sie arbeiten mit zu viel Druck.
b)Es passiert („passiert“ im doppelten Sinne) im Vergleich zum subglottischen Luftdruck zu wenig Luftfluss.
c)Die Sensorik ist zugunsten der Motorik bei der Stimmproduktion in den Hintergrund getreten.
d)Die Motorik dominiert über das Prinzip der Kraft das Geschehen.
e)Die interne Kommunikation zwischen Schleimhaut und Muskulatur erlischt mit der Zeit.
f)Der Tonus zwischen der beugenden und der streckenden Muskulatur ist unphysiologisch hoch.
g)Oblique Bewegungsmuster (Rotation) sind eher selten und im gesamtkörperlichen Konzept nicht oder kaum ausgeprägt.
h)Feinmotorik weicht der Grobmotorik.
i)Knötchenpatienten haben mit der Zeit das Konzept für Rhythmus verloren.
j)Rhythmisch reflektorische Bewegungsmuster sind im Laufe der Entstehung des Knötchens erstarrt.
k)Hautberührungsqualitäten sind eher hart, fest oder kratzend als selbstverständlich sanft, zart und achtsam.
l)…
Anhand der Stimmstörung des Knötchens wird hier aufgezeigt welche Art von FAM angewendet und angeleitet werden kann und an welchen Prinzipien wie zu arbeiten ist. Welche Faktoren sind warum entscheidend, um ein ganzkörperliches Lernen zu ermöglichen und beinhalten damit bereits den Transfer?
Bei den meisten Knötchenpatienten ist es nicht sinnvoll mit Druck zu arbeiten. Auch zu kraftvolle Bewegungen bestätigen eher noch das Bewegungs-, Haltungs- und Druckkonzept, das zu den Knötchen geführt hat. Deshalb sind fließende Bewegungen in der Atemgymnastik sinnvoll. Sanfte Berührungen in der manuellen Atemmassage ergänzen den Prozess und in der Arbeit mit den Ventilen wie Artikulations- und Phonationsventil sind die Strömungslaute die sinnvolleren. Dazu kommt nach vorne verlagerte Artikulation (Umlaute wie ä, ü, ö, i,…) in Verbindung mit Strömungslauten wie z.B. das stimmhafte s, das w und auch das j. Dadurch wird aus dem ursprünglichen Druck, der zu dem Knötchen geführt hat, das antipolare Prinzip des Luftflusses.
Die Feinmotorik benötigt für ihr Zum-Leben-Erwachen auch Stabilitäten. Dazu gehört rhythmische Arbeit. Rhythmische Bewegung mit den Stimmsticks bietet motorische Elemente, die die Feinmotorik unterstützen. Die Handhabung der Stimmsticks ist bei dem Knötchen eine komplett andere als bei Stimmstörungsbildern wie dem dorsalen Spalt oder dem offenen Transversusdreieck. Denn beim Knötchen brauchen wir besonders die Sensibilität in der Hand, die die Stimmsticks hält. Die Stimmsticks als Klanghölzer zu erleben, die in der Hand schwingen und klingen können, ist eine Anweisung, die in der rhythmischen Atemgymnastik den Patienten zunächst schwer fällt, aber um so wichtiger im therapeutischen Prozess ist.
Der erhöhte Tonus der streckenden und beugenden Muskulatur wird durch eigene oder vom Therapeuten ausgeführte Bewegungen reduziert. Streckende Gelenke wie vor allem Sprunggelenke und Atlas brauchen hier spezielle Zuwendung. Leichte, zarte, langsame Nickbewegungen des Kopfes im Atlas, wiegende, kraftunaufwändige Bewegungen der Sprunggelenke führen zur Flexibilisierung des longitudinalen Systems (Beugen-Strecken).
Rotationsbewegungen im Gehen, Stehen und Sitzen sind gerade für Knötchenpatienten in der FAM ein entscheidendes Element, das das Gesamtkonzept einer physiologischen Atem- und Stimmkoordination fördert. Hierzu gehören verschiedene Gangarten auf diversen Seilen.
Aufrichtung und Atemvitalisierung können nicht nur isoliert im Sitzen oder Stehen trainiert werden, sondern vor allem in der Bewegung des eigenen Gehens und hier besonders auch wieder in der Arbeit an den Fußgewölben. Das transversale Fußgewölbe (Quergewölbe) zu trainieren, bringt speziell etwas für die lateralen Ausrichtungen der Atmung. Das longitudinale Fußgewölbe (Längsgewölbe) unterstützt die Aufrichtung und die Erweiterung des Atemraumes nach unten, vorne und oben. Die Diagonalgewölbe der Füße fördern die interne Gesamtkoordination der Atmung. Sie unterstützen die Flexibilität der Zopfstruktur im internen Stimmlippenmuskel, dem m.vocalis. Diese Arbeit wird in der manuellen Atemmassage an Füßen und Händen durchgeführt. In der Atemgymnastik findet diese Gewölbearbeit vor allen Dingen an den Füßen mit Hilfe der Gewölbesticks und den Seilen statt, auf denen die Patienten gehen und stehen.
Die Dominanz der kraftvollen, muskulär bestimmten Motorik wird über Hautberührungsqualitäten in der manuellen Atemmassage umgewandelt zur sensorisch bestimmten, Schleimhaut-geleiteten Stimmfunktion. Dazu gehören Hautberührungsqualitäten, die die Sensorik der Haut betonen und nicht in die Tiefe der muskulären Schichten gehen. Im Bereich der Schlüsselbeine gibt es – für die Atmung von zentraler Bedeutung – Haut, die dann, wenn sie sensibel verschoben wird, der Atmungsmuskulatur sensibelste Impulse gibt, was in Stimme und Atmung zur Dominanz der Sensorik über die Motorik führt. Die Stimmlippen entdecken Schleimhautqualitäten, die in der Zukunft des Patienten wie eine Gesundheitsversicherung für die Stimme wirken können.
Die (Wieder-) Entdeckung der Feinmotorik ist eine logische Konsequenz. Dabei helfen zarte, sanfte, streichende Berührungen in der manuellen Atemmassage. Die Berührungen müssen aber nicht unbedingt vom Therapeuten ausgehen. Der Transfer und die dafür notwendige Voraussetzung des Zuhause-Übens können sowieso viel effizienter funktionieren, wenn der Patient lernt, sich selbst zarter zu berühren und mit sich selbst achtsamer umzugehen. Eine der brutalsten Umgangsweisen mit der Stimme treffen wir bei Knötchen- und Kontaktgranulompatienten an. Das harte Räuspern, das wie ein Kratzen mit einer Drahtbürste durch eine offene Wunde wirken kann, ist stellvertretend für den Umgang mit der Haut - auf glottaler Ebene ist es der Umgang mit der Schleimhaut. Auch das unsensible Kratzen der Haut bis diese noch mehr als bis dato verletzt ist (häufig bei Patienten mit Neurodermitis zu beobachten), gehört nicht zu den Kontaktprinzipien, die der Stimmgesundheit förderlich sind.
Diese sanften Berührungsangebote sollten sich aber auch in der Stimme des Therapeuten widerspiegeln. Um dahin zu kommen, dass wir als Therapeuten selbst für jedes Störungsbild ein eigenes – in diesem Fall für einen Knötchenpatienten ein sensibles – Kontaktkonzept anbieten können, ist es von unschätzbarem Wert, selbst die verschiedensten Ebenen der manuellen Atemmassage sehr präsent zu haben und sie jederzeit auf Abruf leben zu können. Transfer ist kein Problem, ganz im Gegenteil: er ist in der Therapie eine selbstverständliche Konsequenz, wenn in allen Systemen Prinzipien wie Fluss, Rhythmus, Sensibilität und Achtsamkeit (wieder) Einzug halten.