Stimmtherapie mit Transsexuellen - transidentische Begleitung


Die Stimmtherapie mit Transsexuellen (Transgender, Transidenten) gehört nicht nur wegen der relativen Seltenheit, mit der transsexuelle Menschen in einer logopädischen Praxis auftauchen zu den Exoten unter den Störungsbildern. Oft spielt ihre Verunsicherung, die ihnen durch unsere Gesellschaft widerfährt eine Rolle. Manchmal ist es aber auch unsere Unsicherheit, mit der wir sowohl dem “Störungsbild” als auch dem transsexuellen Menschen selbst begegnen. Wie oft im Alltag begegnen uns Transsexuelle? Können wir uns überhaupt in die Lebensthematik eines Menschen hineinversetzen, dem es im Laufe seines Lebens, oft in der Kindheit, meist aber besonders deutlich in der Jungend (Pubertät) immer klarer geworden ist, dass er / sie im falschen Körper zur Welt gekommen ist? Es gibt Länder auf dieser Erde, in denen Transsexuelle zum Alltag dazugehören. In den konservativeren Ländern Europas sind sie immer noch eine exotische Randgruppe. Ähnlich verhält es sich mit der Behandlung der Transsexuellen von Seiten der Gesetzgeber. Die TS-Gesetze gehören zu den Anteilen in unseren Gesetzen, die teilweise unverändert seit bis zu über 50 Jahren in unseren Gesetzbüchern vor sich hin schlummern. Nicht besonders beliebt bei Politikern sind Veränderungen dieser teils mittelalterlich anmutenden aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts geprägten Gesetze, Bestimmungen, Verordnungen.
Das macht gleichzeitig die Situation vieler Transsexueller deutlich, die von zwei Seiten aus in einer schwierigen Situation sind. Sie sind in sich selbst unzufrieden: eine andersgeschlechtliche Identifikation im falschen Körper bedeutet tiefgreifendste Konsequenzen, die einen langen, schwierigen, harten und fast immer auch - nicht nur körperlich - schmerzhaften Leidensweg beinhalten. Dazu kommt das Leben in einer Gesellschaft, die - schaut man sich die Gesetzgebung und die Praxis des Umgehens von offizieller Seite an - scheinbar kein Interesse hat sich der Thematik der transidentischen Menschen anzunehmen, ihnen zu helfen, den Weg zu ebnen und sie gleichberechtigt zu integrieren.

Zitat einer Transsexuellen, die sich frustriert über ihr Leben in unserer Gesellschaft äußerte: Dunkle Seitengassen, meist die unvermeidliche Kombination aus Sack- und Einbahnstraße, die niemand kennen lernen will und kennen lernen darf, das ist unser Lebensraum.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass es auch von der Seite vieler Transidenten eine gewisse Scheu, eine manchmal sogar offen ausgesprochene Angst gibt, sich Menschen z.B. auch Logopäden oder anderen Stimmtherapeuten in eine Therapiesituation hinein anzuvertrauen. Schaut man sich die Websites der TS-Gruppen an, so findet man vor allem in den Gästebüchern und den offiziell zugänglichen gegenseitigen Benachrichtigungen Anfragen und ebenso viele Informationen zum Thema: Wo werde ich vertrauensvoll, kompetent und respektvoll bedient, behandelt? Wo kann ich mir bei welchem Thema Hilfe holen? An welchem Arzt, Therapeuten kann ich mich wenden? Zu welchem Friseur, zu welchem Kosmetiker, in welches Bekleidungsgeschäft kann ich gehen? Wo finden meine speziellen Bedürfnisse Resonanz? ...

Wie aus den einleitenden Ausführungen abzulesen ist handelt es sich beim Thema der transsexuellen Stimmtherapie um ein Thema, was sowohl von therapeutischer als auch von Patientenseite ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit erfordert, eine Form der Achtsamkeit, die, wie im Folgenden erahnbar werden wird, auch noch andere Aspekte betrifft.
Eine grundsätzliche Frage ist die Verwendbarkeit des Begriffes Stimmtherapie, wenn es sich um die Stimm-Arbeit mit Transidenten handelt. Da es sich primär nicht um eine funktionelle, psychogene oder organische Stimmstörung handelt, liegt der Gedanke nah, dass man auch nicht prinzipiell von Stimmtherapie sprechen kann. Natürlich stören die eindeutig männlichen oder weiblichen Elemente der Stimme im transidentischen Prozess. Wenn diese Art der Störung als eine Stimmstörung definiert wird, kann man auch von Therapie sprechen. Anders verhält es sich mit effektiven Stimmproblemen, die sich aus einem mehr oder weniger stimmbelastenden Umgang mit der Stimme ergeben, wenn der transsexuelle Mensch versucht die Stimme mit ihr unzuträglichen Mitteln auf “die andere Seite” zu zwingen. Auch ist die Art der häufig auftretenden Stimmprobleme als eindeutige Stimmstörung anzusehen, die sich aus den TS-Stimm-Operationen ergibt, auf die in der Folge noch näher eingegangen wird.

Was der oder die Transsexuelle bei uns Stimmtherapeuten sucht ist eine Begleitung in dem Wandel der Stimme von dem einen körperlich angeborenen Geschlecht zum anderen empfundenen Geschlecht, einer Identifikation, die auf anderen Ebenen z.T. schon jahre- oder sogar jahrzehntelang teils offen, teils versteckt gelebt wird. Diesen Aspekt der Begleitung (Therapie kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie begleiten, Gefährte sein, dienen) ist mit unserer Sprache, die von den Gewohnheiten, den Normen geprägt ist, schwer wirklich treffend zu fassen. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Therapie, nämlich “Begleitung” ist noch eine der treffendsten. Eine speziellere Sichtweise, die dem Verständnis und dem Bedürfnis mancher Transsexueller entgegen kommt, beschreibt der Begriff Stimmdesign. Dieser Begriff macht auch deutlich, dass es sich bei der Arbeit an der transsexuellen Stimme um viele Parameter handelt, die auf den verschiedensten Ebenen der Stimme, der Artikulation und der Atmung passieren. Es kann sich letztlich nicht nur darum handeln, die Sprechstimmlage um eine Oktav höher oder tiefer zu verlagern. Letzteres ist vom lerntechnischen Aspekt der Arbeit eine eher ungünstige, weil unphysiologische Ausgangsbasis. Das Hochziehen der Stimme oder das kräftig Herunterdrücken der Stimme ist eine Art die Stimme zum anderen Ufer zu bewegen, die fast zwangsläufig zu Stimmstörungen führt. Verspannungs-, Globus-, Enge- und Fremdkörpergefühle sind häufig lästige Begleiterscheinungen der einseitigen unphysiologischen Selbsthilfe aber auch einer auf die Sprechstimmlage fixierten Therapie. Ähnlich unsinnig wie Musikalität in vergangenen Zeiten durch intonationsgenaues Singen geprüft wurde ist - durchaus vergleichbar - das alleinige Anheben der reinen Sprechstimmlage ein probates Mittel um aus einer männlichen Stimme eine weibliche Stimme zu machen.

Die MzF- (Mann zu Frau) Stimmoperationen beschränken sich auf die rein mechanische Anhebung der Sprechstimmlage.
Eine Operationsmethode im Bereich der stimmlichen Geschlechtsumwandlung folgt der Erfahrung, die wir machen, wenn wir bei einem Streich- oder Zupfinstrument die Tonhöhe beim Stimmen (nicht während des Musizierens!) mit den Wirbeln oder der Mechanik verändern. Erhöhen wir die Spannung der Saiten des Instruments wird der Grundton der Saite höher. Das Prinzip der Operation ist denkbar einfach. Das im ventralen Teil des Kehlkopfes verlaufende ligamentum cricothyroideum medianum wird verkürzt. Je nach Kehlkopfgröße und Proportionen werden manchmal sogar Ring- und Schildknorpel direkt aufeinander fixiert. Bewegungsphysiologisch entfällt dadurch jegliche Aufgabe des äußeren Kehlkopfspanners, des musculus cricothyroideus (c.t.). Diesem funktionell gesehen Stimmlippenspanner wird die Arbeit abgenommen. Die Stimme ist automatisch hoch, dadurch aber, dass die beiden Knorpel (Ring- und Schildknorpel) aufeinander fixiert sind und der Winkel nicht mehr veränderbar ist in der Tonhöhe kaum noch beweglich und differenzierbar. Der Grund dafür liegt darin, dass die Tonhöhenregulation physiologischer weise durch den Spannungsantagonismus vocalis - c.t. organisiert wird. Aus diesem Spannungsantagonismus resultiert normalerweise eine Bewegung der beiden Thyro-cricoid-Gelenke. Durch die Operation entfällt diese Bewegung. Die Gelenke sind versteift. Entfällt bei einem der Muskeln (c.t. oder vocalis), die maßgeblich an der Bewegung des versteiften Gelenks beteiligt waren der Impuls für die Tonhöhenregulation, so beginnt unweigerlich ein langsamer Prozess von Reduktion seines Aufgabenbereiches bis hin zur Muskelatrophie. Dies gilt primär für den c.t., darauf folgt leider sehr häufig auch der vocalis, wenn er dann durch reduzierte Vitalität, die oft sowohl im gesamten TS-Themenbereich anzutreffen ist als auch durch die Stimmoperationen verstärkt wird. Dies führt zur Veränderung der Schwingungsqualität, zu weniger Impulsen durch Schleimhautberührung und Schleimhautschwingung. Daraus folgt wieder eine nervale Unterversorgung des m.vocalis, was wiederum bei vielen Patienten über eine diagnostizierte Internusschwäche sich zur Muskelatrophie der Stimmlippenmuskulatur auswächst. Viele Klienten klagen über Spannungsgefühle, über Kloßgefühl, über Fremdkörpergefühl und ein Engegefühl, welches sich aus der Kompensation des durch die Operation quasi vorprogrammierten dorsalen Spaltes ergibt. Der dorsale Spalt ergibt sich wiederum aus mehreren Komponenten. Eine mechanische Komponente ist die quasi chronische Spannungserhöhung, die durch die Operation verursacht wird. Sie ist in den ganzkörperlichen Verspannungen vergleichbar mit Patienten mit deutlich zu hoher Sprechstimmlage. Diese haben die gleichen ganzkörperlichen Spannungsketten (dominantes Streckschlingmuster: waagerechte Stirnfalten im Stimmeinsatz, abgespreizte Daumen und kleine Finger, vorgeschobener Kopf oder nur vorgeschobener Unterkiefer, breitgespannte Mundwinkel...), die im hyperfunktionellen Bereich zwangsläufig zum dorsalen Spalt führen.

Eine andere Operationsmethode folgt dem Gedanken, dass ein Stimmband, welches kürzer wird, auch höher schwingt. Das entspricht der Verkürzung der Saite eines Streich- oder Zupfinstumentes durch das Greifen auf dem Griffbrett. In dieser Form der Operation werden im vorderen Anteil der Glottis die Stimmbänder / Stimmlippen je nach Kehlkopfgröße und daraus resultierender Stimmbandlänge über eine Länge von einigen Millimetern zusammengenäht. Es wird quasi eine künstliche Synechie geschaffen. Dadurch wird die effektiv schwingende Länge der Stimmlippen verkürzt. Die Folge: Die mittlere Sprechstimmlage steigt. Bewusst ist hier der Ausdruck der entspannten Sprechstimmlage vermieden, denn den Beschreibungen der Betroffenen zufolge ist die Phonation nach der Operation alles andere als entspannt. Nachteile dieser Methode sind vor allem eine eingeschränkte Beweglichkeit der Aryknorpel und damit der Stimmlippen in der Öffnungsphase. Die Glottisweite, also der maximale Abstand der processus vocales in der Einatmung reduziert sich bei manchen Patienten auf bis zu weniger als der Hälfte. Der Querschnitt der Glottisöffnung reduziert sich bei manchen sogar auf weniger als ein Drittel. Das bedeutet dominant zunächst einmal ein Atemproblem (reduziertes Atemvolumen) und ein Schleimhautproblem. Dies ergibt sich aus der Austrocknung der Schleimhaut durch die Verengung des Ventils (fließt die gleiche Menge an Luft durch ein auf ein Drittel im Querschnitt verengtes Ventil, so verdreifacht sich die Geschwindigkeit des Luftflusses, also auch der Luftverwirbelungseffekt an den Stimmlippen und damit deren Austrocknung. Diese Operation der künstlich hergestellten Synechie im vorderen Bereich der Stimmritze interpretiert das Gehirn als eine körperliche Verletzung, die geschützt werden muss - Schutzhaltungen kennen wir z.B. nach Verletzungen oder nach Operationen. Der sicherste Schutz besteht darin, dass die Stimmlippen sich vor allen Dingen in der Abduktion (Öffnung der Stimmlippen bei der Einatmung) so wenig wie möglich bewegen. Die Kombination beider Reaktionen bedeutet fast immer einen nach der Operation auftretenden deutlichen inspiratorischen Stridor. Das bereits oben erwähnte Austrocknen der Schleimhaut auf glottaler Ebene ist nur eine der unangenehmen Folgen, die dann wieder - wie uns allen bekann - zum Räuspern führt. Die daraus sich ergebende Form mit der Stimme umzugehen ist eher dazu angetan das männliche Prinzip der Stimmfunktion zu verstärken, den musculus vocalis druckdominant zu benutzen, als das Erlernen weiblicher Stimmqualitäten zu unterstützen. Eine weitere Folge dieser operativ herbeigeführten glottalen Verengung ist ähnlich wie bei einer Recurrensparese mit Medianstellung die ganzkörperliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch die oben schon erwähnte Atemvolumenreduktion. Treppensteigen wird zum “Atemkraftakt”.

Die Bewegungen des ganzen Körpers reduzieren sich in der Größe und Spontanität nicht nur durch die Atemproblematik sondern auch durch das auf glottaler Ebene Prinzip der Schutzhaltung. Wir erleben den sogenannten Prinzipientransfer wie bei Stimmpatienten, die auf eine glottale Hypofunktion ganzkörperlich mit einer entsprechenden Kompensation ganzkörperlich reagieren.
Beispiel: Ein Spalt, egal ob ein funktionell bedingter oder der einer Recurrensparese (außer beidseitig median) hat Veränderungen in ganzkörperlichen Bewegungsmustern zur Folge (besonders interessant sind die Daumen! Eine langjährige Studie zeigt eine auffällige Häufung von Recurrensparese und dorsalem Spalt mit gleichzeitigen Problemen in der Beweglichkeit der Daumensattelgelenke).
Ähnlich erleben wir bei TS-operierten Patienten auf die oben beschriebene Form der Stimm-OP gravierende Einschränkungen körperlicher Bewegungsfreiheit und Spontaneität (besonders beobachtbar in der Atmung, dem Greifen der Hände, Atlas- und Unterkieferbewegung).

So führt diese Operationsmethode zu einer freiwilligen / erzwungenen Bewegungseinschränkung, die in diesem Zusammenhang als eine körperintelligente Schutzhaltung verstanden und gewertet werden darf. Die Schutzhaltung ergibt sich allein aus der operationsbedingten Verletzung des vorderen Stimmlippenanteils. Die Legitimation für diese Schutzhaltung ergibt sich allein schon aus Statistiken und Berichten Betroffener über das häufige Aufreißen der künstlich hergestellten Synechie.

Die Intelligenz mancher Transsexueller, was ihre Suche nach authentischer Identifikation im anderen nicht von Geburt an im Körper mitgegebenen Geschlecht betrifft, ist oft faszinierend. Betrachtet man die Artikulationsbewegungen mancher Mann-zu-Frau-Transidenten so kann man feststellen, dass sie intuitiv mit ihren Mundwinkeln eine Form der Artikulation praktizieren, die der Bewegung der in der oben beschriebenen Weise operierten Stimmlippen ähnelt. In der Artikulation bewegen viele von ihnen nur den mittleren Anteil der Ober- und Unterlippe. Die äußeren Anteile bleiben im gegenseitigen Kontakt. Die Stimme bekommt dadurch mehr Weichheit, Sensibilität, mehr zugelassene Schwäche (kein wertender Begriff in diesem Zusammenhang!), mehr Zartheit. Weniger Muskelmasse (musculus vocalis) schwingt, dafür ist die Schleimhaut feiner beweglich. In der Stroboskopie ist manchmal sogar eine funktionell herbeigeführte Schwingungseinschränkung die Amplitude betreffend im vorderen Drittel des ligamentösen Anteils der Stimmlippe zu sehen. Diese Beobachtung ist laut übereinstimmender Aussage mehrerer Phoniater aber nur mit dem flexiblen Endoskop zu machen, da der Mund bei der starren Endoskopie verständlicherweise viel zu weit für diese Untersuchung geöffnet werden muss. Eine Therapie im Sinne einer unterstützenden Begleitung würde also an einer Stelle ansetzen, an der der Patient / Klient schon selbst etwas gefunden hat, was ihm hilft das Geschlecht auch auf stimmlicher Ebene authentisch zu wechseln. Das gilt vor allem für das bei manchen Transitenten (MzF) faszinierende feinmotorische Spiel innerhalb der Lippen. Zu beobachten ist nicht selten eine Differenziertheit in der Lippenmuskulatur des Mundes, die vermuten lässt, dass es vielmehr Muskeln im Lippenring und rund um ihn herum gibt als in jedem Anatomieatlas zu finden sind. Je feiner in dieser Muskulatur differenziert wird umso mehr wird in den tieferen Schichten der Kehlkopfmuskulatur differenziert. Das führt vor allem erst mal zu einer Umorientierung der Gewichtung Muskel - Schleimhaut. Dieses Prinzip einer Verschiebung der Dominanzen von dem eher groben Prinzip: “Der Muskel macht eine Bewegung” hin zu “Die Schleimhaut nimmt wahr und dient als Informationszentrale für die feinmotorische Koordination auch der tieferen Muskelschichten” kommt einem authentischen transidentischen Prozess wesentlich näher als der Versuch entweder über Muskeltraining oder durch eine Operation die Sprechstimmlage zu verändern.
Diese Art der Arbeit an der Authentizität darf als prozessorientiert bezeichnet oder beschrieben werden. Typisch für diese Form der Arbeit ist in diesem hier behandelten Zusammenhang, dass sich die Erhöhung der Sprechstimmlage als Folge, also sekundär ergibt. Der Kampf um Tonhöhe entfällt. Sie ist nicht das Ziel auf das ich als Therapeut fixiert bin sondern wird mir als Geschenk dazugegeben.

Aus den Ausführungen ergibt sich auf der einen Seite die Notwendigkeit einer Entscheidung auf therapeutischer Seite. Diese Entscheidung ist, was den Bereich der Transsexuellen - Stimmtherapie betrifft, eine ziemlich komplexe. Zunächst ist da Frage der
Klärung der Aufgabe,
die ich bereit und / oder fähig bin zu übernehmen.

Beschränke ich mich als Stimmtherapeut auf das Ziel, die Stimme in welcher Zeit auch immer um eine gewisse Anzahl von Tönen anzuheben, dann werde ich eine Anzahl von Übungen machen, die ich genau definieren kann, habe es aber mit einer Anzahl Problemen zu tun, die sich aus den verschiedensten Kompensations- und Verdrängungsmechanismen ergeben.
Stelle ich mich der Aufgabe im ursprünglichen Sinne des Wortes Therapie meine Patienten zu begleiten, dann kann ich mich kaum der Auseinandersetzung mit den Themen entziehen, die hinter den unterschiedlichsten stimmlichen Aktionen und Reaktionen
Eine der tiefsten Ebenen, die als ursachennah zu bezeichnen sind, ist die oben beschriebene Ebene der Authentizität der geschlechtlichen Identifikation. Dazu kommt die vom Klienten ausgehenden Bemühungen um die Demonstration der “Andersgeschlechtlichkeit” nach außen hin über die Stimme, die in hohem Maße davon geprägt ist mit welchem “Bild der Frau” die als Mann geborene aufgewachsen ist. Was macht eine Frau aus? Werden wir mit der Frage konfrontiert, können wir nur wenige Parameter mit Sicherheit nennen, die allgemeingültig sind. Haben wir nicht alle männliche und weibliche Aspekte in unserer Persönlichkeit in uns!? Die Grenze zwischen männlich und weiblich verschwimmt in den letzten Jahrzehnten immer mehr. Die Forschung in den verschiedensten Disziplinen hat dafür auch Erklärungen auf den unterschiedlichsten Ebenen. Da ist einmal die Nahrung, über die wir gerade im Bereich tierischer Produkte eine große Anzahl von Hormonen aufnehmen. Dazu kommt in der Berufswelt eine problematische Interpretation des Begriffes Emanzipation. Gerade an der Anzahl der Stimmstörungen bei den Frauen in Berufen, die traditionell Struktur, ab und zu auch mal härteres Durchgreifen erfordern lässt sich ablesen welche Funktionsmechanismen auf glottaler Ebene eher männlicher Natur sind und welche eher den weiblichen Qualitäten entsprechen. Geht nun eine Frau in einer bisher männlich dominierten Domäne nach männlichen Mustern vor um sich gegen die Männerwelt zu behaupten, dann kommt es deutlich häufiger zu organischen Veränderungen wie Knötchen oder Ödemen als bei Frauen, die entweder in anderen Sprechberufen tätig sind oder die ihrer eigene weiblichen Energie lebend agieren . Beispiele dafür sind Lehrerinnen und andere Führungskräfte. Der männliche Gebrauch der Stimmlippe, also über die muskeleigene Kraft des musculus vocalis zu gehen statt die Dominanz bei der schleimhautgeleiteten Stimmfunktion zu bleiben, die dem weiblichen musculus vocalis viel besser tut, ihn gesund und fit hält und die Schleimhaut sensibel erhält, führt zu eben diesen Knötchen in einem Bereich, in dem bei Männern seltenst Knötchen passieren. Ähnlich verhält es sich bei missverstandenen Interpretationen weiblicher Attribute in Berufen, die erst in den letzten Jahrzehnten auch von Männern vermehrt ausgeübt werden. Die Internushypofunktionen nehmen dort verstärkt zu, wo Männer versuchen sich dem sogenannten schwachen Geschlecht anzugleichen. Wenn diese Männer die weiblichen Qualitäten nicht nur unter dem Aspekt der körperlichen Schwäche (typisch männliche Sichtweise) sehen würden, sondern die im Hintergrund verborgene sehr komplexe Stärke sehen und verstehen würden, dann wäre eine Annäherung ihres infraindividuellen Umgangs mit der eigenen Stimme gar nicht so ungünstig. Im Gegenteil: Die männliche Stimme kann viel bezüglich der Feinkoordination von den weiblichen Stimmprinzipien lernen. So wie in diesen allgemein beschriebenen Fällen der mangelhafte physiologische Umgang mit der Stimme aus einem Missverständnis des anderen Geschlechtes herrührt so ergibt sich im Falle der stimmlich transidentischen Orientierung auch eine Vielzahl von Stimmproblemen, die von einem mangelhaften Verständnis der andersgeschlechtlichen Prinzipien kommen. Es gibt ungezählte Bücher zum Thema, dass Frau und Mann sich im Prinzip nie verstehen können. Alle versuchen die Unterschiede zu beschreiben, aber genau erklären, beschreiben, definieren...
Auf glottaler Ebene kann man tendenzielle Unterschiede in der Dominanz von Funktionsprinzipien herausarbeiten. Zu diesen Prinzipien gehört der oben erwähnte Unterschied zwischen “Ein Muskel macht eine Bewegung” und “Die Schleimhaut nimmt wahr und dient als Informationszentrale für die feinmotorische Koordination auch tieferer Muskelschichten”. Diese sehr deutliche, wenn auch schwarz-weiß-Unterscheidung ist nicht nur in der Diagnostik, der empirischen Anamnese beim Erstgespräch mit TS-Patienten ein wertvoller Anhaltspunkt.

So ist ein weiterer wichtiger Punkt bei dem Schritt in die Therapie mit Transindenten die Fragestellung an mich selbst: Welches Bild habe ich von männlich und weiblich, was sind für mich als Therapeut die typisch männlichen und typisch weiblichen Identifikations- und Funktionsprinzipien? Dabei fällt es der Therapeutin nicht unbedingt leichter als dem männlichen Kollegen diese Fragen in der Auseinandersetzung und der Begleitung von Transsexuellen für sich und in der Interaktion zu beantworten. Wenn man sich als Stimmtherapeut davon frei macht und sich zugesteht gerade auf der psychotherapeutischen Ebene keine Antworten parat haben zu müssen, ist schon viel Freiheit in der Begleitung gewonnen. Auf glottaler Ebene aber gibt es eindeutige Tendenzen, die, wenn sie von therapeutischer Seite wahrgenommen werden, auf der einen Seite Aufschluss über die Authentizität der geschlechtlichen Identifikation geben anderseits eine nicht zu unterschätzende Menge an Information über das innere Bild vom stimmlichen Funktionieren des anderen, des quasi Zielgeschlechts geben. Transmänner (FzM) berichten, dass in ihren Kreisen häufig Stimmtraining in Richtung männliche Stimme praktiziert wird durch Schreien mit dem Ziel sich Knötchen anzutrainieren, die die Stimme rauer klingen lassen, dass oft allein für einen männlicheren Stimmklang mit dem Rauchen angefangen wird. Das Rauchen verdickt die Schleimhäute, macht sie in der Schwingung sowohl schwerfälliger als auch nicht so sensibel schließend, was die Stimme rau, obertonärmer und tiefer werden lässt. Auf diese Art und Weise leitet das “Bild vom Mann” die Eigenversuche der Klienten (FzM) in ihrer Bemühung auch mit dem Subsystem Stimme das andere Ufer zu erreichen.
Ähnlich wie bei Transsexuellen (FzM)- natürlich mit dem Anwenden ganz anderer Funktionsmechanismen - gibt es viele Transitenten (MzF), die mit einem eher männlich geprägten Verständnis von: wie komme ich mit meiner Stimme zur Frauenstimme an das Stimmthema herangehen.

Im Folgenden sind einige der häufigsten Versuche von Transsexuellen (MzF) beschrieben, die - ohne Operation - versuchen stimmlich das andere Ufer zu erreichen. Aus jedem dieser Prinzipien leitet sich eine z.T. grundlegend andere Therapieform oder auch nur ein anderer Ansatz der Begleitung ab. Dabei liegt der funktionalen Begleitung die Idee zugrunde: Ich versuche meinen Klienten da abzuholen, wo er gerade mit seinen Fähigkeiten ist, also auf einer Stelle, an der er in seiner Suche schon erfolgreich ist.

“Muskulatur macht Tonhöhe” bedeutet im ungünstigsten Fall Kraft und Statik mit dem Ziel die Tonhöhe nach oben zu treiben. Dabei herrscht das eher unsensible, glottalintern männliche Prinzip “über Druck zur Lautstärke oder zur Höhe” vor. Stimmprobleme bis hin zu organischen Kontaktreaktionen sind vorprogrammiert. Derer gibt es im Bereich der TS-Klienten Gott sei Dank nicht viele. Die Arbeit mit ihnen ist oft sehr mühsam, da an männlichen Prinzipien auch auf anderen Ebenen unbewusst oft stark festgehalten wird, dass wir als Stimmtherapeuten kaum eine Chance haben. Wir sind manchmal am besten beraten, wenn wir nach einigen ehrlichen Versuchen, sollten sie dann scheitern oder uns nicht recht weiterbringen, zu einer Kollegin oder zu einem Kollegen (Psychotherapeuten) weiterempfehlen. Das mag klingen als würde man Eulen nach Athen tragen wollen, denn die allermeisten Transsexuellen holen sich auch und vor allem in der Psychotherapie Unterstützung, Orientierung, Begleitung. Aber genau die oben genannten Transsexuellen mit dem oben beschriebenen Prinzip sind es häufig auch, die Psychotherapie vielleicht anfangen aber häufig schnell wieder diese Form der Begleitung verlassen. Nur auf der Seite der Stimmtherapie eine effektive Begleitung anbieten zu wollen ist nicht selten zum Scheitern verurteilt. Übungen, die man anleiten kann sind in den folgenden Abschnitten beschrieben (s.u.).

Nicht ganz so schwer und aussichtsreicher hingegen ist die Arbeit, wenn Klienten über Spannungsaufbau im “Tonhöhenmuskel” (musculus cricothyroideus) die Stimme nach oben zu ziehen versuchen. Da ist zumindest der Muskel, der für die Tonhöhe in die Dominanz gelangen muss, schon mal gefunden. Das bedeutet aber in der Regel eine Kompensation im Bereich streckender Muskulatur. Nackenverspannungen, waagerechte Falten in der Stirn, ein überstreckter, gespannter Hals, oft auch abgespreizte Finger, vor allem der Daumen und der kleine Finger sind die offensichtlichsten Kompensationsmechanismen. Arbeit an diesen Mechanismen, die Flexibilisierung derer gehört u.a. zum Sensibilisierungs- und Trainingsprogramm in der Stimmarbeit. Übungen sind z.B. die Synchronisation von sanften, aber rhythmischen Greifbewegungen, die den Daumen in die Opposition zum Ring- oder sogar zum kleinen Finger bringen. Je flexibler und präziser die Greifbewegung ist und je durchlässiger der gesamte Arm dabei ist umso eher kommt die Information auf glottaler Ebene an mit wenig Druck- und wenig Kraftaufbau zu schließen. Bevor allerdings Greifbewegungen ihren Erfolg zeigen können, sind Bewegungen besonders in den Armen und Händen mit der Stimme zu koordinieren, die weich und zart fließend ausgeführt werden sollten. Das können Bewegungen sein, ähnlich den Atemschriftzeichen nach Schlaffhorst und Andersen. Das können Malbewegungen, z.B. Kreise oder eine liegende Acht an einem imaginären Flipchart sein. Wichtig ist die Durchlässigkeit und Geschmeidigkeit sämtlicher an der Bewegung beteiligten Muskeln und Gelenke. Sind Finger, Hände und Arme beweglich, durchlässig, so folgen in der Anleitung auch der Schulter-Nacken-Bereich, die HWS und als letztes Bewegungsorgan der Atlas. Die Anleitung von flexibilisierenden Bewegungen verschiedenster Art - jeder/jede braucht wieder andere - sollte in der Regel sofort mit Stimme passieren. Dabei sind stimmhafte Frikative in Verbindung mit Vokalen um das i (e, ö) und das u (ü) vorzuziehen. Bei den stimmhaften Frikativen ist darauf zu achten, dass der Aspekt von Luftfluss gegenüber dem Aspekt von Luftdruckaufbau überwiegt. Verschwenderischer Umgang mit Luft unterstützt das weibliche Prinzip der glottalen Schwingungserregung. In der Therapie besonders wichtig ist häufig darauf hinzuweisen, dass die aus der Verschwendung sich ergebende Luftknappheit ein zu begrüßendes Übergangsphänomen darstellt, dass eher Qualitätsverbesserung anzeigt als beunruhigend wäre. Auch ein momentanes Verhauchen der Stimme und sei es nur in der subjektiven Empfindung des Patienten ist in diesem Zusammenhang als gutes Zeichen zu werten!

Damit in direktem, ursächlichen Zusammenhang steht eine Komponente, die die Qualität der glottalen Berührung vom männlichen zum weiblichen Prinzip verändern kann. So, wie ich mich im bewusst taktil steuerbaren berühre, nehme ich Einfluss auf die Berührung der Schleimhaut auf glottaler Ebene. Ein gewinnbringendes Element ist die Mundschleimhaut, vor allem die Zunge, die Lippen und die Mundwinkel. Anleitungen, die dazu führen die Schleimhaut in ihrer Bewegung, ihrer Dehnung und Berührung bei Artikulation und Phonation wahrzunehmen unterstützen das weiblich Prinzip von glottaler Organisation. Dabei ist es gar nicht so leicht einen Klienten von dem Prinzip der Beobachtung einer Aktivität (Muskel macht) über die Wahrnehmung eines resultierenden Kontaktdrucks zur Beobachtung einer reinen Schleimhautwahrnehmung zu kommen. Erst das wertfreie Wahrnehmen einer Schleimhautbewegung frei vom kontrollierenden Machen hat auf glottaler Ebene eine hohe Qualität von Flexibilität in der Leistungsfähigkeit zur Folge.

Die Funktionale STimmarbeit kennt eine Vielzahl von Übungen, die die Qualität der glottalen Berührung nicht nur im Bereich der funktionellen und organischen Stimmstörungen beeinflusst. Auch im Hochleistungsbereich der Stimme gerade beim Berufssänger ist die Qualität der Schleimhautberührung für die Stimme und damit für den Beruf von immens wichtiger Bedeutung. Sie ist wie eine Lebens- und Berufsfähigkeitsversicherung für das Hochleistungsorgan. Die Stimme der Transsexuellen gleicht in manchen Aspekten eher einer Hochleistungsstimme als einer Stimme, der es nach einer Therapie nur einfach besser geht. Die Stimme muss in gewisser Hinsicht etwas leisten, was ihr als Potenzial zumindest von der körperlichen Seite nicht mitgegeben worden ist. Und das bedeutet
Höchstleistung der TS-Stimme.

Nicht wenige beschreiten intuitiv den oben beschriebenen Weg des sehr feinmotorisch, differenzierten Spiels mit vor allem den kleinsten Muskeln in der Mimik und befinden sich dadurch schon sehr nahe an einem grundlegend weiblichen Prinzip der Artikulation und der Phonation: kleine, schwächere, tiefere Muskeln organisieren quasi im Hintergrund die gesamte, auch größere oberflächlichere Muskulatur sehr gefühlvoll (Schleimhautaspekt!) und feinmotorisch. Je näher ein Klient sich intuitiv diesem Prinzip angenähert hat umso authentischer erleben wir ihn in der Regel als bei seinem Ziel angekommen, umso leichter ist aber auch die Therapie. Wir brauchen ihn nur noch unterstützen bei dem Prozess über das Entdecken der feinen Muskulatur zum Entdecken der schleimhautgeleiteten Funktion zu kommen.

Wenn wir einen Transgender nicht mehr als dominant transsexuell, als außergewöhnlich wahrnehmen, wenn wir nicht mehr nach männlich oder weiblich fragen, wenn diese Frage hinter der Authentizität des Menschen zurücktritt, dann haben wir unser Ziel erreicht.